13,6 Prozent der Rentnerinnen und Rentner waren im Jahr 2018 gemäss Bundesamt für Statistik auf Ergänzungsleistungen angewiesen. In der Schweiz werden finanzielle Leistungen an Bedürftige ausgeschüttet: Auf Bundesebene die Ergänzungsleistungen (EL) zur Alters- und Hinterbliebenenversicherung (AHV) sowie die Hilflosenentschädigung (HE). Auf Kantonsebene kommen individuelle Prämienverbilligungen (IPV), Wohnkostenzuschüsse und Beihilfen zur häuslichen Pflege hinzu. Eine kleinere Rolle spielen Sozialhilfe und Einzelfallhilfe durch Hilfswerke. Wir haben mit François Felber gesprochen: Als Bereichsleiter Sozialberatung und Gemeinwesenarbeit und Mitglied der Geschäftsleitung Pro Senectute Kanton Bern ist er täglich mit dem Thema Altersarmut konfrontiert.
Herr Felber, was bedeutet Altersarmut und wann ist ein Mensch davon betroffen?
Die Armutsforschung unterscheidet heute zwischen absoluten und relativen Armutsdefinitionen. Von absoluter Armut betroffen sind Personen, die nur gerade über die für ihren Lebenserhalt absolut notwendigen Güter verfügen – sprich: Nahrung, Kleidung, Unterkunft und gesundheitliche Vorsorge – oder auf diese sogar verzichten müssen. Relative Armut betrifft Personen, die «im Vergleich zu den Mitmenschen im eigenen Land ein eingeschränktes Leben» führen müssen und daher auch von einer Teilnahme am gesellschaftlichen «Normalzustand» ausgeschlossen sind*.
Wie ist die Situation in der Schweiz?
Die Altersarmut in der Schweiz ist relativ. Es geht dabei um Ausgrenzung, die ältere Menschen erleben, weil sie sich den hierzulande üblichen Lebensstil nicht leisten können. Soziale Ungleichheit im Alter ist besonders ausgeprägt und die Schere zwischen Arm und Reich ist in keiner anderen Generation so gross*. Armut im Alter spielt sich zu einem grossen Teil im Verborgenen ab. Umso wichtiger ist es, sensibel gegenüber Hinweisen auf verdeckte Armut zu sein.
Können Sie einen typischen Fall beschreiben?
Unter ungenügenden Alterseinkommen leiden heute vor allem Rentner, die über keine berufliche oder private Vorsorge verfügen: Frauen, Migrantinnen und Migranten, Alleinstehende und Hochbetagte. Zum Glück ist die Existenz der betroffenen Menschen dank der EL zur AHV in den meisten Fällen gesichert. Nicht alle Rentner und Rentnerinnen machen jedoch von ihrem Recht Gebrauch – oft auch aus Scham*.
Sie sind Bereichsleiter Sozialberatung und Gemeinwesenarbeit bei der Pro Senectute Kanton Bern. Wie präsent ist das Thema Armut im Alter in Ihrem Arbeitsalltag?
Armut ist bei der Pro Senectute ein Kernthema, wir sind täglich damit konfrontiert. Gerade in der Sozialberatung gehören die vulnerablen (Anm. d. Red. bedürftigen) Seniorinnen und Senioren zu unserer Zielgruppe und machen auch den grössten Teil der Beratungen aus. Dabei geht es nicht primär um finanzielle Engpässe, sondern auch um die soziale- und gesundheitliche Bedürftigkeit.
Was bedeutet dies im konkreten Fall?
Wir erhalten täglich Anfragen von Personen, die auf Ergänzungsleistungen angewiesen sind und grössere Anschaffungen machen müssen, die ihre knappen Budgets übersteigen. Sei dies mit einmaligen Unterstützungen für den Kauf einer Brille, eines Rollators, einer neuen Matratze oder der Finanzierung eines Umzuges in eine Alterswohnung. Oft gibt es, vor allem im städtischen Bereich, auch Mieten, die zu hoch sind und von den Ergänzungsleistungen nicht ganz übernommen werden.
Wie schaut die Vision der Pro Senectute aus?
Pro Senectute setzt sich dafür ein, dass Menschen in der Schweiz bis ins höchste Alter als mitgestaltende und wertgeschätzte Mitglieder der Gesellschaft leben können. Als übergeordnetes Ziel der Sozialberatung gilt die Herstellung, der Erhalt und die Wiederherstellung der Selbstständigkeit, die Stärkung der Ressourcen sowie die Teilhabe der Betroffenen an ihrem Umfeld. Dieses Ziel versuchen wir in unseren fünf Kernthemen Finanzen, Wohnen, Gesundheit, Recht und Lebensgestaltung stets zu verfolgen (konkrete Leistungen s. Kasten).
Ist Altersarmut ein geschlechterspezifisches Thema?
Es gibt mehr Frauen als Männer, die im Alter von der Armut betroffen sind. Dies erleben wir im Beratungsalltag und wird auch von Statistiken bestätigt. Frauen haben oder hatten oftmals eine weniger gute Ausbildung als Männer und konnten dadurch weniger Geld verdienen. Gleichzeitig haben viele Frauen in nicht bezahlten Berufen oder nur Teilzeit gearbeitet, da sie sich der Familienbetreuung widmen mussten. Diese Gründe haben zur Folge, dass Frauen heute oft keine oder nur tiefe Pensionskassenrenten erhalten.
Wo erhalten Betroffene oder Angehörige Unterstützung, Entlastung und weitere Informationen?
In der Schweiz gibt es zum Glück viele Angebote, von denen Seniorinnen und Senioren profitieren können. Sei es die Pro Senectute, das Schweizerische Rote Kreuz, Kirchgemeinden, Pro Infirmis, die Krebsliga und viele mehr. Gerne möchte ich Seniorinnen und Senioren sowie Angehörige dazu ermuntern, sich bei Fragen oder Unklarheiten jederzeit an Fachpersonen zu wenden. Diese werden direkt helfen oder Sie an die richtige Organisation weitervermitteln.
Wie schaut die Zukunftsperspektive aus, auch mit Hinblick auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie?
Senioren und Seniorinnen gehören in der Corona-Krise zu den wenigen Menschen mit einem gesicherten Einkommen. Das heisst, dass die Pandemie bei vielen zum Glück keine starken finanziellen Einschränkungen nach sich zieht. Ein sehr zentrales Thema jedoch ist, dass den Senioren auch während der Pandemie Formen der sozialen Teilhabe ermöglicht werden und sie nicht vereinsamen.
*Quelle: Leben mit wenig Spielraum, Altersarmut in der Schweiz, Pro Senectute
Die Pro Senectute hilft
- bei finanziellen Engpässen oder allgemeinen Fragen zu Finanzen (Pensionierungsfragen, Ergänzungsleistungen, Hilflosenentschädigung etc.).
- bei Fragen oder Schwierigkeiten, die im Zusammenhang mit dem Wohnen auftreten (Umzug in Alterswohnung, Heimeintritt etc.).
- wenn betreffend Gesundheit Fragen bestehen (pflegende Angehörige, Entlastungsdienste etc.).
- wenn rechtliche Fragen auftauchen (Patientenverfügung/Vorsorgeauftrag, Mietzinsreduktion, Einsprache bei Verfügungen, Steuererlassgesuche etc.).
- wenn es um allgemeine Fragen der Lebensgestaltung im Alter geht.
Nebst der Beratung bietet die Organisation auch spezifische Hilfeleistungen wie Administrationsdienst, Besuchsdienst und Hilfe bei der Steuererklärung an, die den Alltag erleichtern und ein selbstständiges Wohnen ermöglichen sollen.
Zur Webseite der Pro Senectute Bern
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Publikationsdatum: 15.12.2020