Irgendwo in einer ruhigen Gegend über Bern, in einem Raum voller Erinnerungen, steht Bernhard Meier und stimmt die ersten Klänge eines bekannten Bob-Dylan-Songs auf der E-Gitarre an. Seine Frau, Monika Meier, verdreht die Augen und grinst: «Dieses Lied hab’ ich dich ja noch nie spielen hören.» Der 72-Jährige lächelt verschmitzt und zupft unbeirrt weiter. Denn so war es schon immer: Prof. Dr. med. Bernhard Meier, genannt Berni, zieht sein Ding durch. Dabei ist es egal, ob das Ding eine Hommage an die goldenen Zeiten der Rockmusik ist oder eine über 40-jährige Tätigkeit als Koryphäe auf dem Gebiet der Kardiologie, der medizinischen Fachrichtung, die sich dem Herzen widmet.
Der Massstab
«In meiner ersten Ausbildungsstelle nach dem medizinischen Staatsexamen in der Angiologie, also der Abteilung für Gefässleiden, habe ich Andreas Roland Grüntzig kennengelernt – und dieses Kennenlernen hat mein ganzes Leben verändert», beginnt Bernhard Meier seine Geschichte. Mittlerweile befinden wir uns in seinem Office. Dieser Raum stellt das Herz zur Seele dar, die wir vorhin im gemütlichen Kellerraum mit den Gitarren, der Platten- und der Büchersammlung erleben durften. Hier geht es ernster zu: Diplome, Auszeichnungen, Preise und Ehrungen, poliert und ordentlich aufgereiht, schmücken Wände und Regale. Im krassen Kontrast dazu steht die weisse Tapete, scheinbar willkürlich bespritzt und bemalt mit schwarzer Farbe. «Dies war das Zimmer meines jüngsten Sohnes. Er hat sich da mal kreativ ausgelebt», sagt Berni und lacht herzlich. «Ich werde des Öfteren in Zoom-Calls gefragt, was eigentlich mit meiner Wand los sei.»
Aber zurück zu Andreas Grüntzig. Auf einem Tisch in der Ecke des Büroraumes steht eine Messingskulptur von Grüntzigs Kopf. Ein Zeichen tiefer Verbundenheit: «Beruflich verdanke ich ihm alles», meint der Facharzt und setzt sich neben die Skulptur. Grüntzig entwickelte 1976 eine bahnbrechende Methode zur Behandlung der häufigsten Todesursache der Menschen, der koronaren Herzkrankheit, und «ich begab mich gleich von Anfang an in sein Schlepptau und habe alles miterlebt», erzählt Berni. Im September 1977 wagte Grüntzig eine erste Operation mit der von ihm erfundenen Ballondilatation zur Aufdehnung verengter Herzkranzgefässe. Die Operation war ein Erfolg, der Patient lebt bis heute. «Alle, die an diesem Tag Zeugen dieser kleinen Revolution wurden, treffen sich immer noch jährlich zum Jubiläum.» Leider schon lange ohne Andreas Grüntzig; der Arzt kam keine zehn Jahre nach seiner Erfindung im Alter von 46 Jahren bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Sein Erbe wird indessen täglich weltweit bei Hunderttausenden Patienten angewendet, um Leben zu retten.
Der Schlüssel
Nachdem der junge Berni bei dieser bahnbrechenden ersten Ballondilatation neben Andreas Grüntzig am Operationstisch gestanden hatte, veränderte sich sein ganzes Leben. Es folgten intensive und abwechslungsreiche Jahre. «Grüntzig verliess die Schweiz Ende 1980, um seine Methode in den USA weiterzuentwickeln. Ich schloss mich ihm an», erzählt Bernhard Meier. Grund dafür war, dass die Zürcher Kollegen den jungen Erfinder mit Neid und Spott zurückbanden, statt ihn zu fördern. Und nur fünf Jahre später verstarb er auf tragische Weise. Berni seufzt und meint: «Fortan trug ich also sein Legat weiter als der nun einzige Kardiologe, der das Koronarstenting, wie es heute genannt wird, von Anfang an begleitet hatte.»
Ich hatte bis kurz vor der Pensionierung den fixen Plan, ab dem ersten Tag keinen Finger mehr zu rühren.
Wenn man Bernhard Meier fragt, was ihm in den Sinn komme, wenn er auf sein Leben zurückblicke, sagt er «Serendipity». Ein englisches Wort, das auf einem persischen Märchen basiert. Dieses erzählt von den drei Prinzen von Serendip, die von zu Hause loszogen, um nichts Bestimmtes zu suchen – und deshalb offen für alles waren. So erlebten sie allerlei wundersame Zufälle, die ihnen immer wieder den richtigen Weg zeigten. Und genau so war es auch für Berni. Nach drei Jahren in den USA kehrte er zurück in die Schweiz, wo er bis zu seinem Ruhestand arbeitete und wirkte. Zeitgleich wuchs seine Familie vom Zweierteam mit Partnerin und Ehefrau Monika, mit der er seit 1972 sein Leben teilt, mit drei Söhnen zum Fünferteam. Und dann – oh Schreck – naht der Ruhestand. «Ich hatte bis kurz vor der Pensionierung den fixen Plan, ab dem ersten Tag keinen Finger mehr zu rühren», lacht Berni. Monika lacht auch und schüttelt den Kopf. Sie habe übrigens die gesamte Finanzplanung übernommen, fügt der Kardiologe hinzu und grinst verlegen: «Mir hat da die Motivation ein bisschen gefehlt.» Und genau deshalb, meint er, bräuchten Menschen einander: «Ob Partner, Familie oder Fachleute, die einen unterstützen – man muss sich helfen lassen können, man kann nicht alles allein machen.» So funktioniere das «Serendipity»-Prinzip.
Der Koffer
«Als der Tag der Pensionierung näher rückte, machte sich ein merkwürdiges Gefühl breit», erzählt Berni, während er uns die Treppe hinunter zurück in den Kellerraum mit den Gitarren führt. «Ich dachte mir: ‹Jetzt habe ich einen Werkzeugkoffer voll von über Jahrzehnte angesammeltem Wissen, und jetzt soll ich ihn einfach …›» er fuchtelt mit der Hand in den Raum, «‹hier unten verstauben lassen?!›»
Berni lehnt sich ans Bücherregal. Diese Bücher sind alle zumindest teilweise aus seiner Feder und wurden in viele Sprachen übersetzt: «Es gab mal eine Zeit, wo dieses Buch rund um den Globus in fast allen Büros von Kardiologen stand, die sich mit der Behandlung der koronaren Herzkrankheit beschäftigten», er öffnet ein Buch mit dem Titel «Coronary Angioplasty». «Ich vermute, es ist mittlerweile vergriffen. Die Leute, die es haben, sind vermutlich auch alle pensioniert.» Auf der ersten Seite des Buches steht die Widmung «To my wife Monika».
Doch wie ist der Ruhestand denn nun? «Vielleicht bin ich in der falschen Gesellschaft alt geworden», Berni berührt nachdenklich sein Kinn. «Wir haben einen eher pragmatischen Umgang mit älteren Menschen. Ich sage es mal so: Die Pensionierung ist kein Ponyhof, wenn man seine Arbeit liebt.» Doch es gäbe auch Positives: «Der unablässige Termindruck ist nicht mehr vorhanden. Und es gibt immer noch viele Möglichkeiten, sich selber etwas aufzuhalsen.» Der Kardiologe lächelt: «Das gute Gefühl am Abend, wenn man etwas erledigt oder bewirkt hat, will man ja nicht völlig missen.» So müsse denn der Werkzeugkoffer nicht verstauben, wenn man ihn nicht verstauben lassen will. Der Trick sei, immer wieder ein Projekt für Herz und Seele zu finden. Solche Herzensprojekte sind für Berni unter anderem eine Tätigkeit als Senior Consultant auf seinem Fachgebiet, als Vertretung im Herzkatheterlabor einer Berner Privatklinik und 2020 als Aushilfe im Corona-Impfteam des Kantons Bern. Und für die Seele gibt’s die Familie mit zwei Enkelkindern. Und Bob Dylan.
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